Das Projekt Irmat der Abteilung Forschung & Entwicklung der Hochschule für Musik Basel und des Elektronischen Studios Basel zeigt, wie berührungssensitive Bildschirme für innovative Musikapplikationen genutzt werden können.
Ein Bibliotheksgebäude wird einer Musikhochschule nicht alle Tage geschenkt. Dass am 14. September 2009 die Basler Ausbildungsstätte für Musikprofis ein solches Gebäude einweihen durfte, ist einmal mehr Ausdruck der mäzenatischen Traditionen der Stadt am Rheinknie.
Die Vera-Oeri-Bibliothek inmitten des Komplexes der Musikakademie im Herzen der Stadt ist als zentrales Dienstleistungszentrum konzipiert und dank der Zusammenlegung der Bestände die grösste Musikaliensammlung der Schweiz. In hellen, luftigen Räumen beherbergt sie neben den klassischen Papierdokumenten eine Tonträgersammlung, ein Audiozentrum mit Überspiel- und Audiobearbeitungsmöglichkeiten, ein Kopierzentrum sowie zahlreiche Internet-, PC- und Studienplätze. Ein spezieller Arbeitsplatz erlaubt überdies den privilegierten Zugriff auf den Audiospeicher der Schweizerischen Nationalphonothek in Lugano.
Im Untergeschoss verfügt die Bibliothek über eine weitere aussergewöhnliche Attraktion, eine für Benutzer der Bibliothek frei zugängliche Installation des Forschungsprojektes Irmat (Infrared Multi Action Tracker) der Abteilung Forschung und Entwicklung der Hochschule für Musik Basel und des Elektronischen Studios Basel. Sie präsentiert sich als berührungssensitiver Bildschirm in Form einer beleuchteten Tischplatte, der auf Basis einer neuartigen Infrarot-Technik Bewegungen und Gesten in akustische Ereignisse umwandelt.
Der Irmat-Prototyp überwindet Beschränkungen, denen bislang verfügbare Touchscreens unterliegen: Er reagiert auf mehr als eine Berührung gleichzeitig und erlaubt ein komplexes Zusammenspiel simultaner Manipulationen. Ein Team unter der Leitung des spanischen Gitarristen und Audiodesigners José Navarro hat dafür eine Reihe von Applikationen entwickelt, die mit intuitiver Schnittstelle, ansprechender Grafik und vor allem faszinierender Grundkonzeption in Staunen versetzt.
Zur Zeit sind vier Anwendungen abrufbar: Eine davon – sie trägt den Namen «KlangLab» – hat pädagogischen Charakter; sie ermöglicht es, Sinuswellen zu kombinieren, die so gemischten Basistöne via eine virtuelle Tastatur auf ganze Tonleitern zu verteilen und zu erleben, was dabei akustisch geschieht. Raffinierte Spezialfunktionen wie ein Verstimmen der einzelnen Sinuskompenten gegeneinander erlauben dabei mehr als bloss triviale didaktische Einsichten. Eine zweite Anwendung nennt sich «TouchSynth» und wandelt Fingerspuren in Klangflächen um. Dabei werden auch grafische Bilder generiert, die ein wenig an die Basisvisualisierungen im Windows Mediaplayer erinnern, ästhetisch aber weit mehr überzeugen und das intensive Gefühl vermitteln, mit den Fingern intuitiv Klänge zeichnen zu können.
Eine dritte Applikation ist «Cells». Sie unterteilt den Bildschirm in ein schachbrettartiges Muster, wobei jede Zelle ihre eigenen Klangfarben und Rhythmen generiert. Die Grundeigenschaften der Zellen können individuell manipuliert, einzelne Zelle ein- oder ausgeschaltet und Zellen verbunden werden. Dabei entsteht eine raffinierte, angenehm anzuhörende Art Minimal Music auf Basis sich überlagernder Loops.
Spektakulär ist die vierte Anwendung, «Kosmusik». Sie spannt ein Gittermuster aus virtuellen Kugeln auf, die mit nicht minder virtuellen Gummibändern verbunden scheinen. Die Kugel-Reihen und -Kolonnen können in Vibration versetzt oder einzelne Kugeln aus dem Gitter herausgezogen werden. Zahlreiche Parameter wie die Bestimmung der Kugelgrössen und –härten und der Trägheit der Verbindungen ermöglichen ein faszinierendes Spiel mit den Kräften im Gitter.
Laut Michael Kunkel, dem Leiter der Abteilung Forschung & Entwicklung der Basler Musikhochschule bewegen sich Projekte wie Irmat im Schnittfeld von künstlerischer Arbeit und Tontechnik, respektive Audiodesign. Damit bekräftige die Hochschule die Absicht, das Audiodesign nicht einfach musikfremden Industrien zu überlassen, sondern aus einem musikalischen Selbstverständnis heraus mitzubestimmen.
Man kooperiert dabei einerseits mit andern Kunsthochschulen im deutschsprachigen Raum, nicht zuletzt mit dem geografisch relativ nahegelegenen ZKM in Karlsruhe, versucht anderseits aber auch ein eigenes unverwechselbares Profil in Lehre und Forschung zu erreichen. Geplant ist laut Kunkel etwa auch eine Kooperation mit dem Museum für Kommunikation in Bern, für das Anwendungen wie Irmat eine willkomene Bereicherung seiner interaktiven Ausstellungslandschaften darstellen.
Die Integration von Ausbildungen in elektronischer Musik oder Multimedia-Applikation hat an der Basler Musikhochschule recht früh eingesetzt, nicht zuletzt durch die Zusammenarbeit mit dem traditionsreichen Elektronischen Studio der Stadt. Mittlerweile werden Bachelor- und Master-Abschlüsse in Audiodesign angeboten. Die Ausbildungsgänge nach dem Bologna-System sind allerdings noch sehr jung; die ersten Master-Abschlüsse stehen noch an. Zur Zeit werden auch noch die letzten Diplome unter dem alten System vergeben.
Im ihrem Forschungsfeld D «Kommunikation Mensch und Maschine» unterhält die Basler Musikakademie neben Irmat das Projekt Interface for Fonts and Musicnotation (IFAM), mit dem Komponisten Werkzeuge in die Hand gegeben werden sollen, um Notationsaufgaben in der elektronischen Musik intuitiv zu bewältigen. Die zur Zeit existierenden Hilfsmittel, erklärt Kunkel, seien sehr komplex und untereinander nicht kompatibel. Das führe dazu, dass die Beschaffenheit der Programme ästhetische Prozesse bestimmten, was für die Komponisten nicht wünschbar sei. Technisch soll hier die Implementierung eines grafischen Interfaces in der Programmiersprache C Abhilfe schaffen. Es stellt konventionelle und neue oder verbesserte Notationsformen für zeitgenössische elektronische Musik und algorithmische Komposition innerhalb der für Musikanwendungen entwickelten Programmierumgebung Max/MSP bereit.
aus: http://www.codexflores.ch, 01. Dez. 2009